Warten auf ein Wunder

Draußen in der Welt wird er geschätzt und verehrt. Seine Statuen und Porträts schmücken Klostergärten und Ordenshäuser in Portugal, Mosambik, Indien und Montenegro. Nur Zuhause in Schweich, wo er geboren wurde, ist er vergessen: Pater Johannes Maria Haw. Seit 15 Jahren läuft der Prozess zur Seligsprechung und die treibende Kraft dahinter ist die umtriebige und engagierte Sr. Celeste Gonçalves vom Sekretariat Pater Johannes Maria Haw der Johannesschwestern in Leutesdorf.

An einem kalten Wintertag haben sich Edwin Prim, Schweichs langjähriger, beliebter Pastor, Gemeindereferent Rüdiger Glaub-Engelskirchen und Ursula Heinz vom Pfarreienrat mit dem Auto von der Mosel aufgemacht, um in Leutesdorf am Rhein von Sr. Celeste mehr über den Stand der Seligsprechung zu erfahren.

Zur Erinnerung: Früher haben die Schweicher Kinder in der Grundschule im Sachkundeunterricht noch etwas über die großen Söhne des kleinen Städtchens gelernt. Da gab es Lehrer und Lehrerinnen, die Heimatkunde unterrichteten, die aus dem „Knaben im Brunnen“ von Stefan Andres vorlasen und von Pater Johannes Haw erzählten. Dem Mann, der auszog, sich um die zu sorgen, um die sich sonst niemand mehr kümmert: Um die Straffälligen und Kriminellen, die Verstoßenen und Verbitterten, die Lebensmüden und Resignierten, die Trunksüchtigen, Kranken und Leidgeprüften.

Hört man sich heutzutage in Schweich um, dann wissen selbst die Alten wenig über den „vergessenen Priester“. Die Jungen kennen nicht einmal die Straße, die seinen Namen trägt, unweit des Jüdischen Friedhofs, geschweige denn sein Geburtshaus Ecke Richt-/ Bahnhofstraße, ein Haus, an dem der Blick schnell weiterschweift, weil unansehnlich und hässlich. Einzig das Pater Haw-Museum im Niederprümer Hof würdigt seit Mitte der 1980er Jahre den Gründer des Johannesbundes.

Wer aber ist Pater Johannes Maria Haw, dessen Kampf gegen den Alkoholismus bis heute Spuren in unserem Leben hinterlassen hat, gründete er doch 1919 den Johannesbund und zwei Ordensgemeinschaften: die Johannesschwestern von Maria Königin (1928) und die Johannesmissionare (1948), Priester und Brüder, die Obdachlose und entlassene Strafgefangene betreuen, in Altenheimen, Krankenstationen, Schulen und Sozialdiensten arbeiten. „Wir müssen Männer und Frauen haben, in denen die Liebe Christi blüht und die diese Liebe hinausstrahlen in die kalte Welt“, hat Haw in einer seiner viel beachteten Publikationen, „Der Rufer, 1927 gesagt.

Und diese Männer und Frauen trifft die kleine Schweicher Inspektions-Truppe in Leutesdorf, wo beide Orden ihren Sitz haben, in der Tat an. Hier im Johannes-Haw-Heim, einem Resozialisierungs- und Übernachtungsheim, einem flexiblen Wohnhilfeverbund, werden 100 Menschen mit sozialen und psychischen Problemen betreut, bundesweit in Köln, Bonn und Weiterstadt kümmert sich der Johannesbund um mehr als 600 Menschen und hat 260 Mitarbeiter. Jetzt im Winter, so sagt Geschäftsführer Rafael Correia, sei das Haus voll. Immer jüngere Menschen mit Drogenproblemen suchten Hilfe und ein Dach über dem Kopf. Manche bleiben ein paar Nächte, manche Jahrzehnte.

Beim Gespräch mit Sr. Celeste nach dem Besuch der Ölbergkapelle mit dem Grab von Pater Haw erfahren die Schweicher viel über einen Mann, der trotz schwacher Gesundheit unbeirrbar beharrlich seinen Weg ging, immer wieder Verantwortung übernahm, gestützt und getragen von einem unerschütterlichen Gottesglauben. Immerhin hatte ihm einst ein Arzt aufgrund seiner Lungenerkrankung während des Studiums 1893 am Trierer Priesterseminar geraten, „die anstrengende Beschäftigung“ sofort aufzugeben. „An jedem Tag möglichst vielen Seelen möglichst viel nützen“ schreibt Haw 1920 in sein Tagebuch.

Fast scheint es, als ob sein Weg vorgezeichnet war: 1871 als Sohn einer alteingesessenen Schweicher Bauernfamilie geboren, verspürt er früh den Wunsch, Priester zu werden. Nach dem Abitur am Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium beginnt er mit philosophisch-theologischen Studien am Bischöflichen Priesterseminar und wird 1895 von Bischof Michael Korum im Hohen Dom zu Trier gemeinsam mit 25 weiteren Kandidaten zum Priester geweiht. Korum bleibt zeitlebens ein ganz wichtiger Berater und sagt 1908 über Haw: „Ich danke Gott, dass er mir diesen Priester geschenkt hat!“

1897 ändert persönlich Erlebtes Denken und Wirken den jungen Theologen. Als Pfarrvikar im saarländischen Holz mitten im Kohlerevier erlebt er die Folgen einer rasant fortschreitenden Industrialisierung samt Bevölkerungswachstum, die Armut und Not in den Familien, die Perspektivlosigkeit des Einzelnen, das Vergessen-Wollen von sozialen Problemen, von der Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit des Alltags durch hochprozentigen Alkohol. Nach dem Pfarrexamen wird er 1900 als Pastor nach Wintersdorf/Sauer an der luxemburgischen Grenze versetzt.  Auch hier im Milieu der Kleinbauern und Steinbrucharbeiter die Konfrontation mit dem „Arme-Leute-Alkoholismus“.

Der Trostlosigkeit setzt er eine Vision entgegen: Er animiert seine Gemeinde, mit ihm eine Kirche zu bauen. Wenn er nicht gerade selbst mit Hand anlegt, dann zieht er sich zurück und schreibt sich den Frust von der Seele. Sein wohl bekanntestes Büchlein „König Alkohol“ entsteht. In dieser Zeit notiert er auch: „Mein Geheimnis: Güte und Demut. Damit gewinne ich!“

Bischof Korum bestellt ihn 1906 zum Geistlichen Rektor des St. Irminen-Hospitals und zum Geschäftsführer des Diözesan-Mäßigkeitsbundes mit Sitz in Trier in der Speestraße 16. Ein Jahr später gibt Haw eine eigene Zeitschrift heraus. „Der Morgen“ soll in „allen Ständen“ und „weiten Kreisen“ wachrütteln, wie zerstörerisch Alkohol Leib und Seele ruiniert.

Als Direktor des „Katholischen Mäßigkeitsbundes Deutschlands“ verlegt Haw 1912 den Sitz der Zentrale des Bundes von Trier nach Leutesdorf, wo er zunächst ein „Sanatorium für alkoholgefährdete Männer gehobener Kreise“ eröffnet. Immer mehr rückt auch die seelsorgliche Arbeit in seinen Fokus. Er bietet die ersten Exerzitien an. Brot für die geschundene Seele. „Nur wahre Liebe, die nicht bloß schöne Worte macht, sondern diesen Armen das Evangelium vorlebt,  kann retten.“

Der Zuspruch ist riesig. Schon bald ist das Johannisheim zu klein. Haw kauft ein Hotel, nennt es „Johannesburg, bis heute der bauliche Dreh- und Angelpunkt seines Werkes. Das ihm ebenso wichtige Schriftenapostolat verbreitet sich in ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland. Bis auf den heutigen Tag leisten zwei Publikationen des Johannesbundes „Der Rufer“ und „Krankenbrief“ ihren Beitrag zur Glaubensverkündigung.

Am 28. Oktober 1949 stirbt Pater Johannes Maria Haw in Leutesdorf und liegt dort in einer Gruft der Ölbergskapelle gegenüber der Wallfahrtskirche Heiligkreuz begraben.

Der Prozess seiner Seligsprechung stockt. Die Mühlen in Rom mahlen bekanntlich langsam und so kann eine Seligsprechung durchaus ein Menschenleben dauern. Woran es hängt? Am Wunder. Denn das braucht es, um seliggesprochen zu werden. Sr. Celeste hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um den Prozess voranzutreiben. Mehr als 8000 Dokumente hat sie eingereicht, die diözesane Phase der Seligsprechung ist 2016 erfolgreich abgeschlossen worden. 79 Augenzeugen, die Haw noch gekannt haben, sind befragt worden. Das von Rom anerkannte Wunder indes fehlt.

„Der Weise von Leutesdorf ist das Symbol eines Apostels des 20. Jahrhunderts“, sagt Sr. Celeste Gonçalves und wünscht sich nichts mehr, als dass man in Schweich den großen Sohn der Stadt endlich gebührend ehrt. Wer sein bis auf den heutigen Tag vitales Erbe am Rhein gesehen hat, versteht das.